RoboCop: Rogue City
Ein brachialer Shooter von Fans für Fans
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vonSascha Penzhorn
Aktualisiert 6. November 2023 16:50
Gesendet 6. November 2023 14:13
Mit der Geschmeidigkeit und dem Tempo einer fußlahmen Landschildkröte trample ich durch die Gänge eines Bürogebäudes. Eine Horde marodierender Gangster lässt aus sämtlichen Himmelsrichtungen Blei regnen, aber meine Panzerung verkraftet das. Meine legendäre Auto-9 zerlegt die meisten Feinde mit nur einem gut gezielten Schuss. Bei Kopftreffern zerspratzen sie spektakulär und vollkommen übertrieben. Ab und zu taucht mal ein Gegner mit einem dicken Helm auf. Der ist gegen Kopfschüsse gewappnet, aber weil er heute Morgen vergessen hat, seine stählerne Glücksunterhose anzuziehen, fällt er eben nach einem direkten Treffer in sein zweitwichtigstes Körperteil.
Wie es sich für ein gut ausgestattetes Büro gehört, stehen überall hochexplosive Feuerlöscher herum, im Notfall schleudere ich auch einfach mal einen Monitor durch die Gegend. Die alten Röhrenbildschirme setzen bei der kleinsten Erschütterung alles unter Strom. Ja, vor 30 Jahren war IT noch lebensgefährlich!
Ich kann Gegner auch einfach so packen und mit mir durch die Gegend tragen und sie bei Bedarf in die Menge oder aus dem nächstbesten Fenster werfen. Ich kann Backpfeifen austeilen, deren Ragdoll-Effekte in der Folge dafür sorgen, dass mein Widersacher sich in sich selbst zusammenfaltet. Ich bin die unaufhaltsame Macht, bin nahezu unbesiegbar, versohle die Hintern unzähliger Bösewichte, die mir hoffnungslos unterlegen sind. Wenn ich Lust dazu habe, kann ich jetzt noch die Sturmgewehre, Schrotflinten und diverse andere abgelegte Knarren meiner Herausforderer benutzen. Das ist ein nettes Feature, auch wenn es sich nicht ganz richtig anfühlt. Robocops Auto-9 macht einfach so viel Spaß, ist so ikonisch, du würdest auch kein Spiel im Knight-Rider-Universum starten und dann in einen abgeranzten Fiat Panda steigen. In vielerlei Hinsicht ist Robocop eine Art Anti-Shooter: Der einzige Kugelschwamm bist du selbst. Du springst, rennst und gleitest nicht durch die Level wie eine eingeölte Speckschwarte. Du stapfst gemächlich durch die Gegend und verteilst maximale Gerechtigkeit.
Extrem spaßige Machtfantasie
Das mag jetzt so klingen, als hätte man fünf Minuten Freude daran, bevor es sich rapide abnutzt. Tatsächlich bleibt das Gameplay aber über die gut zwölf Stunden, die ihr für einen kompletten Durchgang benötigen werdet, herrlich unterhaltsam und abwechslungsreich. So bekommt ihr es regelmäßig mit neuen Gegnertypen zu tun, die neue Tricks auf Lager haben. Dann wuseln plötzlich fiese Biker auf ihren Motorrädern um euch herum. Es wird mir niemals langweilig, diese Gestalten mitten in der Fahrt vom Bock zu pflücken und auf ihre Kumpane zu werfen. Scharfschützen, Typen mit Granatwerfern, die obligatorischen Spinner, die auf euch zurennen, um sich in die Luft zu sprengen – das Spiel wird über Zeit anspruchsvoller, fordert euch mehr, auch wenn Veteranen trotzdem recht unbesorgt auf die höheren der vier Schwierigkeitsgrade schalten können.
Schießen euch schlimme Finger mal übergroße Löcher in die Lebensleiste, dürft ihr standardmäßig drei Mal auf Knopfdruck heilen, weitere Aufladungen zur Heilung sind recht großzügig in allen Levels verteilt. Natürlich werden nicht nur die bösen Jungs stärker, sondern auch Robocop selbst. Über ein Upgrade-System könnt ihr eure Auto-9 modifizieren und nicht nur Werte wie Schadenswirkung oder Stabilität beeinflussen, sondern auch Effekte wie Endlosfeuer ohne Nachladen oder Streumunition aktivieren. Zudem könnt ihr über eine Art Talentbaum neue Fähigkeiten wie Bullet Time, Schutzschilde, verbesserte kritische Treffer, Lebensregeneration und weitere Goodies freischalten, die euch im Kampf noch mächtiger machen. Darüber hinaus dürft ihr aber auch Punkte in Kategorien wie Deduktion oder Psychologie investieren. Schließlich besteht Polizeiarbeit nicht ausschließlich aus wilden Schießereien!
Murphy’s Law
Zwar gibt es reichlich Action in Rogue City, manchmal sorgt ihr aber einfach nur für Ordnung auf den Straßen von Detroit. Dabei erkundet ihr relativ große, weitläufige Areale und interagiert mit allerlei krummen Typen. Ein Obdachloser gibt sich in einer Gasse die Kante. Verpasst du dem armen Schwein jetzt noch ein Bußgeld oder belässt du es bei einer Verwarnung? Man hat immer die Wahl, streng nach dem Gesetz zu handeln oder Gnade walten zu lassen. Das hat einen direkten Einfluss darauf, wie die Bevölkerung Robocop wahrnimmt und bewirkt auch immer wieder mal kleinere Veränderungen in der Spielwelt. Beispielsweise dann, wenn wir einen Graffiti-Künstler nicht verknacken und dann eine Weile später sehr cooles Robocop-Artwork an einer Hauswand auftaucht. Ein weiterer cool umgesetzter Aspekt im Spiel ist Robocops Menschlichkeit – oder das Fehlen ebendieser, je nachdem, wie ihr ihn spielen wollt..
Ganz wie im Film hat Robocop Flashbacks und Visionen von seinem Leben als Alex Murphy. Für viele seiner Kollegen bei der Polizei ist er weiterhin genau das. Auf der anderen Seite stehen die Corpo-Fieslinge von OCP, die Robocop überhaupt erst erschaffen haben und ihn als nicht viel mehr als ein glorifiziertes Haushaltsgerät betrachten und mit entsprechend wenig Achtung und Respekt behandeln. Das sorgt für ein paar überraschend cool umgesetzte Spielmomente: Wie identifizierst du dich eigentlich? Siehst du dich als Robocop oder als Alex Murphy und wie möchtest du angesprochen werden? Rogue City bietet wahnsinnig guten Fan-Service und gibt euch ein wenig die Kontrolle darüber, ob Murphy in gewisser Weise wiedergeboren wurde oder für immer tot ist. Das hat was von einem Rollenspiel, auf bestmögliche Art.
Ihr müsst Fans sein
Rogue City geht unglaublich liebevoll mit dem Quellmaterial um. Es ist zwischen dem zweiten und dritten Film angesiedelt. Der neue Antagonist ist stark, auch wenn er etwas arg an Hans Gruber erinnert. Es gibt etliche Orte, Referenzen und Momente, die Fans aus den ersten beiden Filmen kennen. Peter Weller hat viele herrlich behämmerte Oneliner im Spiel parat, die Spielwelt ist grandios inszeniert und sieht stellenweise echt beeindruckend aus. Drogendealer streiten über die Vorzüge der freien Marktwirtschaft, im Radio werden Schlafmittel für Kinder beworben, die zu viele Fragen stellen. Robocop ist Satire und Gesellschaftskritik, Rogue City versteht das. Wer mit den Filmen so gar nichts am Hut hat, wird hier aber wohl nicht glücklich, schon weil es sich vollkommen anders spielt als jeder aktuelle Shooter.
Ihr seid so wendig wie ein Reihenhaus, Aktionen wie Springen oder Ducken könnt ihr komplett vergessen und die allerbeste Waffe im Spiel haltet ihr von der ersten Sekunde an in der Hand. Robocop muss sich so spielen, aber das muss man eben wissen.
Wer das Setting nicht kennt, bei dem rührt sich auch nichts, wenn man an den Ort zurückkehrt, an dem Murphy einst sein grausames Schicksal ereilte. Rogue City ist ganz klar ein Spiel für Menschen, die Robocop sowieso lieben. Hier und da merkt man dem Spiel auch sein vergleichsweise kleines Budget und Entwicklerstudio an. NPCs und Gegner wiederholen sich optisch immer wieder, bis auf Robocop selbst erinnern viele Charaktere an animierte Schaufensterpuppen und über die Gesichtsanimationen in Dialogen reden wir besser gar nicht erst. Auch die Sprachausgabe ist etwas durchwachsen, ein paar Figuren haben sehr schrille, nervige Stimmen. Nennenswerte Bugs sind beim Test aber keine aufgetreten, im gesamten Durchlauf passierte ein einziger Absturz in einer Sitzung, die zu diesem Zeitpunkt gut vier bis dahin ununterbrochene Stunden angedauert hat.
Fazit
RoboCop: Rogue City versteht genau, was Robocop ausmacht. Im Kampf seid ihr nahezu übermächtig, als Polizist balanciert ihr zwischen Gnade und der Härte des Gesetzes, zwischen eurer Menschlichkeit und eurer Existenz als Maschine. Die Spielwelt ist fantastisch umgesetzt, alles wirkt originalgetreu. Für Fans ist es ein Traum, doch wer mit Robocop nichts anfangen kann, braucht dieses Spiel nicht.
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RoboCop: Rogue City - Ein brachiales Shooterfest für Film-Fans (Review)
Gut
Brachialer Shooter mit überraschend guter Rollenspieleinlage, der Fan-Träume wahr werden lässt, aber auch ein paar kleine Macken in der Präsentation hat.
vonSascha Penzhorn
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